Wien neu entdecken

Wien neu entdecken

Historische Zusammenhänge kennenlernen und deren Auswirkungen auf das Heute zu verstehen, darum geht es bei den „Wiener Stadtspaziergängen“, einer Reihe des ÖJC unter dem Titel „Wien neu entdecken“. Los ging’s am 4. Mai 2023 bei der Minoritenkirche, wo Barbara Dmytrasz mit einem geschichtlichen Überblick zur Stadtentwicklung begann. 


„Als das Römische Reich im 5. Jahrhundert unterging, dauerte es weitere 500 Jahre, bis sich auf den Resten der Römerstadt Vindobona wieder eine Art Stadt zu entwickeln begann. Lediglich eine kleine Siedlung rund um die heutige Peterskirche hat die Wirren der Völkerwanderung überdauert. Erst um 1050 gab es wieder eine Burg nördlich der Kleeblattgasse und drei Pfarrkirchen – St. Ruprecht, St. Peter und Maria am Gestade – deren Vorgängerkapelle ist seit dem 9. Jahrhundert belegt.“

Der Babenbergerherzog Leopold VI. (1176-1230) residierte in Wien und versuchte, ebenso wie seine Vorgänger, durch die Gründung neuer Klöster das Land zu erschließen. Seine bekannteste Gründung ist Lilienfeld in Niederösterreich, wo er auch begraben liegt. „1224 rief er die Minoriten oder Minderbrüder (fratres minores) nach Österreich und gründete das Wiener Minoritenkloster. Nach dem Stadtbrand von 1275 wurde von König Ottokar Přemysl der Grundstein für die heutige neue Kirche des Minoritenklosters gelegt.“

Sie war eine der ersten gotischen Kirchen im ostösterreichischen Raum und nach Ottokars Tod 1278 in der Schlacht auf dem Marchfeld ließ ihn Rudolf I. von Habsburg hier dreißig Wochen aufbahren – als Zeichen seines Sieges.

„Links neben dem Eingang ist der sogenannte Teufelsstein“, zeigt Barbara Dmyrtasz. „Das war der letzte Stein, der beim Kirchenbau eingesetzt wurde und er zeigt den Teufel. Normalerweise wurde das Bild des Teufels eingemauert, hier hat man den Stein aber verkehrt herum angebracht.“

In der Kirche kommt man nicht umhin, das originalgroße Mosaikbild des „Letzten Abendmahls“ von Leonardo da Vinci zu bestaunen. Zumal es die einzige Kopie in Originalgröße ist, die aus 7 Mosaikplatten mit 20 Tonnen Gewicht besteht. Napoleon hatte es in Mailand (wo das Original ist) bestellt, aber die Anfertigung hat länger gedauert als seine Regentschaft. Und weil Mailand dann zu Österreich fiel, kam das Bild nach Wien. „Bemerkenswert ist der Jünger Johannes links von Jesus“, meint Dmytrasz. „Manche sehen darin nicht einen Mann, sondern eine Frau, und zwar Maria Magdalena, die mögliche Ehefrau von Jesus. Es gibt auch keinen Kelch zu sehen, den sogenannten Heiligen Gral. Das sei nämlich der Schoß von Maria Magdalena. Eine These, die auch den Romanautor Dan Brown zu seinen Spekulationen veranlasst hat.“

Im Kreuzgang der Kirche sind die Grabsteine des mittelalterlichen Friedhofes zu sehen, die man hier angebracht hat. „Damals starben Frauen sehr oft bei der Geburt, oder auch das Kind. Wer die ersten Jahre überlebte, hatte eine gute Chance erwachsen zu werden. Allerdings über 30 wurde kaum jemand, denn die Frauen starben im Kindbett, die Männer in den häufigen Kriegen. Oder man starb an den katastrophalen hygienischen Zuständen.“

Es ging weiter durch die Landhausgasse, wo der französische Architekt Charles de Moreau, ein Vertreter der Palastarchitektur des Klassizismus, nach dem Wiener Kongress auf Nummer 1 die damalige Nationalbank baute. Gegenüber, im Cafe Central, war um 1900 der Treffpunkt aller Künstler. „Nicht nur Literaten oder Maler oder Musiker, wie in Paris oder Prag in ihren jeweiligen Cafès, sondern alle waren hier“, so Dmytrasz. „Und es war auch das erste Café, in das Frauen gehen durften. Hier war also praktisch die Geburt der Moderne. Immerhin war Wien damals die sechstgrößte Stadt der Welt, und man hatte ein Kanalsystem für fünf Millionen Einwohner geplant. Davon profitieren wir noch heute.“

Durch das Palais Esterhazy („Eine frühere Jagdhütte von Herzog Leopold gleich außerhalb der Stadt, wie man an dem „L“ im Wappen erkennen kann.“) geht es in die Naglergasse. „Hier war die Stadt zu Ende, die Stadtmauer fiel zum heutigen Haarhof hinunter, wo der Wassergraben war.“ Und ebenfalls am Rand der Stadt, „Am Hof“, stand im Mittelalter die Babenbergerburg, nachdem Wien zur Residenzstadt geworden war. „Direkt davor, man sieht den Platz ja heute noch – befand sich wohl der höfische Turnierplatz. Und auch die Gerichtsbarkeit, wo man entweder an den Pranger gestellt oder gleich mit dem Richtschwert seiner gerechten Strafe zugeführt wurde.“

Noch viele solche Geschichten und Geschichtchen gab es bei diesem mittelalterlichen Spaziergang durch die Wiener Innenstadt zu hören und zu erleben, bevor man sich in der Blutgasse im ÖJC-Pressezentrum einfand, um bei Getränken und Knabberzeug die Eindrücke Revue passieren zu lassen und neue Kontakte zu schließen. Und sich bereits auf die kommenden Veranstaltungen des Österreichischen Journalisten Clubs zu freuen.

Text und Fotos: Mag. Christian Stöger


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