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„Ändere die Welt, sie braucht es“
Bertolt Brecht: Die Maßnahme
Wien, am 20. April 2021
Liebe ÖJC-Mitglieder,
für mich gab und gibt es einige unverrückbare Grundsätze im Leben, an denen ich mein persönliches wie berufliches Handeln immer ausgerichtet habe. Einer dieser Grundsätze ist das Beharren auf Solidarität. Solidarität bedeutet für mich: die gegenseitige Hilfe und das Eintreten füreinander, ein aktives Prinzip der Mitmenschlichkeit, das sich für marginalisierte Menschen, Gruppen oder Positionen einsetzt.
Um gesellschaftlich breiter wirkmächtig zu werden, muss solidarisches Handeln aber auch organisiert werden. Einen solchen Ansatz von gelebter Solidarität verfolgten DDr. Günther Nenning und Wolf In der Maur, als sie im Jahr 1977 den ÖJC gründeten. Gemeinsam mit Prof. Norbert Adam, der den Club in den ersten Jahren leitete, ging es ihnen vor allem darum, althergebrachte Strukturen und Abhängigkeiten zwischen Journalismus und Politik radikal in Frage zu stellen. Dabei blieben sie immer offen für den Dialog, ließen verschiedenste politische Strömungen zu Wort kommen, forderten und förderten den pluralistischen Austausch.
Spätestens mit dem AKH-Skandal zeigte sich, wie wichtig eine unabhängige, investigativ arbeitende Presse und wie notwendig daher auch der Aufbau einer unabhängigen Journalist*innen-Organisation ist. Dieser Ansatz, wirklich frei und unabhängig von allen, – also vom Staat, von den Parteien und von jenen Organisationen, die den Staat repräsentieren –, zu sein, ist der wichtigste Grundsatz des ÖJC. Von seinen Ursprüngen bis heute.
Dieser Ansatz war dann auch für mich persönlich ein wichtiger Grund, mich im und für den ÖJC zu engagieren: Meiner Meinung nach ist ein unabhängiger kritischer Journalismus eine der wichtigsten Instanzen zur Bewahrung und Förderung der pluralistischen Demokratie – und somit unabdingbares Werkzeug zur Gestaltung einer liberalen und offenen Gesellschaft. Dazu müssen die in den vergangenen Jahrhunderten – oft auch blutig – errungenen bürgerlichen Grundrechte, wie u. a. die Presse- und Meinungsfreiheit, immer wieder aufs Neue vor Angriffen geschützt und verteidigt werden. Und zwar immer auf der Höhe der Zeit, um auf neue Herausforderungen adäquat reagieren zu können.
Seit den Anfangsjahren des ÖJC, in denen wir uns im Hinterzimmer der „Palette“ im Künstlerhaus trafen oder im fensterlosen „Bürgermeisterzimmer“ im Messepalast wirkten, hat sich viel getan. Heute findet sich das wundervolle Büro mitten im Zentrum der Bundeshauptstadt, mit dem Vienna International Press Center verfügt der ÖJC über einen idealen Veranstaltungsort für Pressekonferenzen, Seminare und Events. Die moderne Bühnentechnik erlaubt Live-Übertragungen ins Internet. Mit Regieplatz und Präsentationstechnik auf dem neuesten Stand ist es perfekt fernseh- und radiotauglich. Dazu können im Seminarraum Schulungen und Trainings durchgeführt werden. Die journalistische Nachwuchsförderung war mir seit jeher ein großes Anliegen: Mit der Gründung unserer Journalismus & Medien Akademie Mitte der 90iger Jahre haben wir in dieser Richtung viel bewegen können. Mit großer Freude höre ich oft, dass die Absolvent*innen unserer Lehrgänge einen sehr guten Ruf in den Medienunternehmen genießen.
Die Medien entwickeln sich aktuell womöglich so rasch wie noch nie in der Menschheitsgeschichte. Umso wichtiger ist es für eine Journalist*innen-Organisation, da nicht nur „dranzubleiben“, sondern voranzugehen und frühzeitig mit neuen Technologien zu experimentieren.
Das habe ich nicht nur beim ORF als Redakteur der Bundesländersendung, des Parlamentsmagazins „Hohes Haus“, als Chef vom Dienst der ZiB und des Wissenschaftsmagazins „Modern Times“, als Leiter der „Neue Medien“ in der ZiB und als Mitglied der Planungsgruppe der täglichen Wissenschaftssendung „nano“ auf 3sat getan, sondern auch im und für den ÖJC.
So hatten wir im ÖJC – noch vor der Einführung der SMS-Dienste – in Zusammenarbeit mit der APA und einem Mobilfunkanbieter einen Pager-Dienst mit Journalisten-News eingerichtet. Die ÖJC-Homepage war eine der ersten Webseiten, die in Österreich überhaupt geschaltet wurde. Bereits 2006 begannen wir mit dem Videopodcast-Dienst, der bis heute bereits 187 Mal unter [OeJC-TV2go] erschienen ist. Auf unserem YouTube-Channel bieten wir mittlerweile mehrere hundert Stunden informativen Videocontent. Besonders freue ich mich über die Entwicklung von [OeJC2go]: Der weltweit ersten App für Journalist*innen, die tagesaktuelle Meldungen anbietet, das Einbetten von Fotos ermöglicht, automatisch zum YouTube-Channel verlinkt, über wichtige Events informiert und auch Zugriff auf das [Statement] erlaubt. Das [Statement] haben wir 2012 komplett neu aufgestellt. Vom internen Vereinsmagazin wurde es zu einem zunächst monatlich, später zweimonatlich erscheinenden Magazin von und für Journalist*innen, dass seither sowohl in analoger Form über den Zeitschriftenhandel, als auch digital über die drei größten Online-Kioske (Austria-Kiosk der APA, bei readly.com und read.it) bezogen werden kann.
Ein anderer Aspekt, der mir in der Arbeit mit und für den ÖJC ebenfalls immer besonders wichtig war, ist der Austausch und die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen und Einzelakteur*innen. So engagierte sich der ÖJC in der FIJET, organisierte für seine Mitglieder aber auch immer wieder Studienreisen, bspw. nach Russland, in den arabischen Raum, in die Türkei, nach Japan, Taiwan, China und in viele andere Länder mehr, um das gegenseitige Verständnis von Journalist*innen unterschiedlicher Kulturen zu fördern. Langfristige Kooperationen konnten wir mit unseren Kolleg*innen in Russland und China aufbauen: Schon ab 1990 entwickelte sich, ausgehend von einer humanitären Solidaritätsaktion, mit Russland eine dauerhafte Zusammenarbeit. Und seit zehn Jahren ist der ÖJC an der Produktion einer gemeinsamen Fernsehsendung mit China Radio International (China Media Group) beteiligt. Hierbei ging und geht es, neben dem Abbau gegenseitiger Vorurteile, natürlich auch immer um die Anregung zur Diskussion über Menschen- und Grundrechte und um die Unterstützung bei der Etablierung journalistischer Mindeststandards.
Immer wieder gibt es Situationen, in denen die internationale Solidarität unter uns Journalist*innen uneingeschränkt und kompromisslos geäußert und praktiziert werden muss: So konnte ich als ÖJC-Präsident nicht wegschauen, als der saudische Blogger Raif Badawi für das friedliche Eintreten für Frauenrechte, Liberalismus und Säkularismus in seinem Land zu 1.000 Peitschenhieben und 10 Jahren Haft verurteilt wurde.
Vollstes Engagement war ebenfalls gefordert, als der türkische Präsident Recep T. Erdoğan anfing, systematisch Journalist*innen zu verfolgen und für die Ausübung ihres Berufs einzusperren. Der ÖJC war maßgeblich an der öffentlichen Skandalisierung dieses Vorgehens beteiligt und half somit dabei, international politischen Druck auf Erdogan aufzubauen, was dann auch zur Freilassung von Deniz Yücel, Meşale Tolu Çorlu und Max Zirngast führte. Dass ich die freigelassenen Kolleg*innen Meşale und Max nach ihrer Rückkehr nach Deutschland bzw. nach Österreich am Flughafen begrüßen durfte, zählt zu den erfüllendsten Erinnerungen an meine letzte Präsidentschaft.
Derzeit unterstützt der ÖJC die Solidaritätskampagne, die sich gegen die unmenschlichen Haftbedingungen richtet, denen der Whistleblower und Journalist Julian Assange ausgesetzt ist und die unvereinbar mit einem westlichen Rechtsstaatsverständnis sind.
Als sogenannte „Vierte Gewalt“ haben wir Journalist*innen eine Mitverantwortung beim Schutz gesellschaftlicher Minderheiten, der Verteidigung sozialer Randgruppen, sollten für zu Unrecht benachteiligte und missachtete Gruppen oder Personen eintreten und kritisches Bewusstsein gegen Ignoranz und Gleichgültigkeit in der Gesellschaft fördern. Diese Leitsätze galten für mich auch schon 1984, als ich sie für den damals von Hans Preiner und mir neu geschaffenen „Prof. Claus Gatterer-Preis“ niederschrieb.
Claus Gatterer habe ich 1975 im ORF kennen und schätzen gelernt. Ich kann mich gut an zahlreiche lebhafte, bis tief in die Nacht gehende Diskussionen in seinem stark verrauchten Büro erinnern, in denen es um die Analyse aktueller tagespolitischer Ereignisse ebenso ging wie um große philosophische Fragen. Gatterers sezierende Analyse, radikale Kritik und schonungslose Aufklärung über gesellschaftliche Missstände waren die auschlaggebenden Beweggründe, den „Prof. Claus Gatterer-Preis“ als Mittel der Qualitätssicherung im österreichischen Journalismus auszuschreiben.
Aktuelle Probleme im österreichischen Journalismus, die dringend Handlungsbedarf erfordern, sehe ich beispielsweise bei folgenden Punkten:
Diese und viele weitere Herausforderungen liegen vor uns allen als Journalist*innen. Eine Herausforderung, die der gesamte ÖJC angehen muss, ist die Transformation und Anpassung an die sich veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen in unserer Gesellschaft.
Unsere Arbeitsbedingungen als Journalist*innen haben sich in den letzten Jahren massiv verändert. Unbefristete Festanstellungen sind mittlerweile eher die Ausnahme. Viele von uns, vor allem die jüngeren Kolleg*innen arbeiten freischaffend, oft prekär entlohnt und unter hohem Termindruck. Eine zusätzliche verantwortungsvolle Aufgabe, dazu noch eine ehrenamtliche wie die ÖJC-Präsident*innenschaft, wirkt vor diesem Hintergrund womöglich wenig reizvoll. Dafür habe ich großes Verständnis. Und doch wünsche ich mir natürlich sehr, dass der Club weiterhin die große, unabhängige und starke Interessenvertretung bleibt, zu der er sich in den letzten Jahrzehnten durch unser aller Engagement entwickelt hat.
Bei der Generalversammlung im vergangenen Dezember wurde die Umbenennung in Österreichischer Journalist*innen Club beschlossen. Dies sollte nicht nur als symbolische Anpassung an den Zeitgeist, sondern als programmatischer Beginn eines Prozesses der Neugestaltung verstanden werden, an dem Sie sich alle aktiv beteiligen können.
Vielleicht wäre eine Möglichkeit, das Amt der Präsident*innenschaft vom Aufwand her verträglicher in Beziehung zum restlichen Leben zu setzen. Man könnte z. B. die Möglichkeit eines Leitungsteams in Betracht ziehen. Dazu könnten sich auf anderen Ebenen die Organisationsstrukturen ändern: Vielleicht könnten sich einzelne temporäre Projektgruppen gründen, die jeweils Einzelveranstaltungen oder Reihen zu bestimmten Themen und Anlässen konzipieren, planen und durchführen. Schaut man sich die Entwicklungen der letzten Jahre z. B. im Kulturbereich an, so finden sich hier einige Bespiele von erfolgreichen Versuchen, mit anderen Formen der Organisation zu experimentieren. Meist steht da am Anfang ein breit angelegter und offener Aushandlungsprozess von möglichst vielen Beteiligten. Die vom ÖJC in den vergangenen Jahrzehnten geschaffene Infrastruktur bietet dafür tolle Voraussetzungen, sich einzubringen.
Liebe ÖJC-Mitglieder, ich bedanke mich sehr, dass Ihr/Sie mir eine so lange Zeit Euer/Ihr Vertrauen geschenkt habt/haben. 33 Jahre, das ist eine wirklich lange Zeit! Viele unserer Mitglieder sind (zum Glück!) jünger, viele Weggefährten der ersten Stunde sind leider bereits verstorben. Ihnen möchte ich, besonders beim Abschied aus dieser Funktion, nochmals gedenken und mich rückblickend für die gemeinsame Zeit bedanken.
Ich werde mich, auch nach dem Rückzug aus dem ÖJC, selbstverständlich weiterhin gegen die zunehmende Verrohung in unserer Gesellschaft und gegen Hetzkampagnen und einen immer größer werdenden Alltagsfaschismus wenden. Deswegen nenne ich den kommenden Lebensabschnitt auch gerne meinen „wohlverdienten Un-Ruhestand“.
Ich freue mich darauf, ab jetzt mehr Zeit mit meiner Familie verbringen zu können. Sobald die Pandemie es wieder zulässt, möchte ich gerne noch die eine oder andere Reise unternehmen und die vergängliche Schönheit unserer Welt erleben – führt einem die aktuelle Situation doch erschreckend vor Augen, wie schnell alles vorüber sein kann.
Besonderer Dank gilt meinem Freund Prof. Oswald Klotz, der sich dankenswerter Weise bereit erklärt hat, interimistisch die ÖJC-Präsidentschaft zu übernehmen, um die baldige Übergabe in neue Hände so reibungslos wie möglich zu gestalten.
Ich wünsche dem ÖJC, all seinen Mitgliedern und dem nächsten Führungsteam eine erfolgreiche und unabhängige Zukunft.
Vielen herzlichen Dank!
Ihr/Dein
Prof. Fred Turnheim
Pressefoto: Parlament/Jantzen
[OeJC-TV2go] - Livesendungen:
Derzeit sind keine Live-Sendungen geplant.
WICHTIGER HINWEIS:
Auf Grund der Covid-19 - Pandemie ist das Büro des Österreichischen Journalist*innen Clubs für jeden Besucherverkehr gesperrt. Wir sind Montag bis Freitag von 10.00 Uhr bis 15.00 Uhr telefonisch erreichbar.
Wir bitten um Ihr Verständnis!
BITTE BLEIBEN SIE GESUND!
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Due to the Covid-19 pandemic, the office of the Austrian Journalists Club is closed to all visitors. We are available by phone Monday to Friday from 10:00 to 15:00.
We ask for your understanding!
PLEASE STAY HEALTHY!
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Mittwoch, 21. April 2021, 22:24:05
FPÖ – Rauch: Kampf gegen Atomkraft ist gut, wird aber auf EU-Ebene so nicht gelebt!
Mittwoch, 21. April 2021, 21:43:12
Mittwoch, 21. April 2021, 23:03:05
Der Österreichische Journalist*innen Club (ÖJC) wurde 1977 gegründet. Er ist die größte parteiunabhängige Journalistenorganisation in der Republik Österreich.